Dienstag, 12. Februar 2008

2400 km und 200 Kirchen auf 2 Unterhosen

Dienstag abend war es endlich soweit, wir brachen auf zu einer Reise in die kulturelle Wiege Russlands, zu jenen Zentren von Handel, geistlicher und weltlicher Macht, die erst durch den Aufstieg Moskaus im 13. Jahrhundert an Bedeutung verloren: in den "Goldenen Ring" rund um Moskau. Wir stiegen abends ein in den Nachtzug "Weiße Nächte" nach Vologda, dem ersten Ziel unserer Reise, und wurden am nächsten Morgen, ein halbe Stunde vor dem Eintreffen im Bahnhof, von einer Breitseite russischen Musikgeschmacks aus dem Schlaf geholt: Nachdem eine weiblich Stimme zu eintönigem Hintergrund über Liebe und Sehnsucht gesäuselt hatte, folgte mit nur leicht variierter Melodie der männlich Gegenpart, der mit Schwermut sein Soldatenschicksal besang. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wach war, wurden von Modern Talking mit "Cherry Cherry Lady" aus sämtlichen Träumen gerissen. Nachdem wir uns vergeblich um ein Hotelzimmer bemüht hatten, kauften wir ein Ticket für den nächsten Nachtzug nach Moskau und machten uns in das Zentrum der Stadt auf, das maßgeblich von einem Kreml gebildet wird, der malerisch über der zugefrorenen Vologda trohnt. Auf dieser vergnügten sich Einheimische mit Langlaufskiern und Eisangeln.

Am nächsten Tag suchten wir in Moskau als erstes unser Hostel mit dem liebenswürdigen Namen "Home from Home" (???) auf, das sich direkt am berühmten "Arbat" in einem Altbau mit stuckbesetzten Decken befand. Danach machten wir uns zum roten Platz auf, um Lenin unsere Ehre zu erweisen. Dieser liegt gegen seinen und den Willen seiner Angehörigen mumifiziert aufgebahrt in einem Mausoleum vor den Mauern des Kremls, umrankt von Gerüchten, er bestünde teilweise oder gar ganz aus Wachs, bzw. es existierten mehrerer Exemplare der Mumie. Die Szenerie im Mausoleum war eher surreal, mit dem Leichnam Lenins in der Mitte eines rötlich dämmrig ausgeleuchteten Raumes in einem Glassarkophag liegend und einer Frau, die sich im Vorbeigehen zig-mal bekreuzigte und bekundete, Lenin sei noch ein aufrichtiger Mensch gewesen. Nachmittags war es uns möglich (Vielen Dank Anne-Mariee), das Gebäude der Staatlichen Universität Moskau von Innen anzuschauen, jenen prachtvollen Zuckerbäckerbau aus der Stalinzeit, in dem man als Student über Jahre hinweg leben kann, ohne ihn auch nur ein einziges Mal verlassen zu müssen. In ihm befindet sich alles, was ein Student zum Leben braucht: Mensen, Cafeterien, Supermärkte, ein Reisebüro, Friseure, Buchläden, Museen, das Wohnheim und natürlich die Vorlesungssääle. Wir nutzen die Gelegenheit, um uns in der Mensa richtig satt zu essen (siehe Photo von Andi's Tablett).

Am nächsten Tag brachen wir früh morgens zu einer Tagestour in den Goldenen Ring auf: Erstes Ziel, das wir nach vier Stunden Zug- und Busfahrt (der dritte Ticketschalter war der richtige) erreichten wir Suzdal. Suzdal, eine der ältesten Städte Russlands erlebte seine Blütezeit gegen Ende des 12. Jahrhunderts, als es zur Hauptstadt des damaligen Russlands aufstieg. Später galt es vor allem als religiöses Zentrum Russlands. Fernab von Industrien und Verkehrswegen konnte es sein historisches Stadtbild im Laufe der Jahrhunderte weitgehend bewahren. Uns bot sich ein traumhaftes Bild der schier endlosen Anzahl an Kirchtürmen mit vergoldeten oder verzierten Kuppeln, eingebettet im Weiß des frisch gefallenen Schnees. Danach reisten wir weiter in diejenige Stadt, die Suzdal als Hauptstadt des Kiever Rus ablöste: Wladimir, eine ebenfalls sehr gut erhalten Stadt, mit Kreml etc.

Am dritten Tag wandten wir uns einem eher dunkleren Kapitel russischer Geschichte zu: Wir besuchten in Moskau das GULAG-Museum, gegründet vom Enkel desjenigen Bolschewisten, der während der Oktoberrevolution den Sturm auf den Winterpalast leitete, jedoch später unter Stalin in Ungnade fiel und im Arbeitslager endete. Ein sehr interessantes Museum, mit liebenswürdiger Museumsbabuschka, die uns jedes Mal zurückbeorderte, wenn wir ein Exponat ausließen und uns andauernd aufforderte Fragen zu stellen. Wenn wir keine Fragen stellten, stellte sie die Fragen selbst und beantwortete sie denn auch ausführlichst. Von ihr wurden wir erst erlöst, als ein neues Opfer eintraf, ein Niederländer, der fast keine Wort Russisch sprach und ihr hoffnungslos ausgeliefert war: "Lager.... Verstehen Sie???... Viele, viele!!! Die Museumsbabuschka gehört übrigens zu jedem Raum eines jeden russischen Museums, wie die Sakuski zum Wodka. In der Regel bewaffnet mit einem Heizkörper und einer Decke sitzen sie, Tag ein, Tag aus, in den Ecken der Museen und erfüllen einen nicht auszumachenden Auftrag. Lediglich, sollten sich ausländische Studenten in das Museum verirren, ist ihre Stunde geschlagen... Am Nachmittag fuhren wir noch nach Sergejev Posad, ein Kloster vor den Toren Moskaus, über dessen Höfe geschäftig Mönche huschen und Gläubige vor den Ikonen Kerzen anzünden.

Gegen Abend traf Andi ein Anflug von Grippe, dessen Bekämpfung mit einer Überdosis Aspirin in einer Nacht über der Kloschüssel des Hostels endete. Dementsprechend standen die Sterne schlecht für Yaroslavl, das letzte Ziel unsere Reise, einer Stadt, in der Elemente alter russischer Städte wie Vladimir und neuer russischer Industriestädte kunterbunt gemischt sind. Nachdem wir uns kurz einen Überblick über die Stadt verschafft hatten und zum ersten Mal überhaupt an der Wolga waren, schlugen wir den Rest des Tages (ca. 6 Stunden) in der örtlichen McDonalds-Filiale tot (1BigMac, 1 Cheeseburger, 1 mittlere Pommes, 3 Kaffee, 2 Tee, 1 Cola), bis uns der Nachtzug zurück nach St. Petersburg brachte.


Goldener Ring

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